Blog | 08.01.2023

Alte Traditionen in der neuen Welt: Weihnachten

Autorin: Helena Kramářová

Die Gesellschaft ist heute vielen Veränderungen ausgesetzt, die frühere Generationen nicht erlebt haben. Jeder wird von den Medien und der allgegenwärtigen Globalisierung beeinflusst. Vor allem in den großen Metropolen treffen dank der Migration zahlreiche Kulturen aufeinander, verflechten sich und beeinflussen sich gegenseitig. Der Tanz-, Musik- und Sprachverein Marjánka widmet sich nicht nur der Folklore und den Aktivitäten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, sondern auch der Bewahrung und Weitergabe tschechischer und slowakischer Traditionen und Bräuche. Ende letzten Jahres beschloss man, in die Haushalte von in Österreich lebenden Landsleuten zu schauen und durch einen Fragebogen wertvolle Informationen über die Traditionen und Bräuche im Zusammenhang mit Advent und Weihnachten zu erfahren.

Der Begriff traditionelle Weihnachten ist sehr weit gefasst und schwer zu definieren, denn jeder denkt dabei in der Regel an Traditionen, die er aus seiner Kindheit kennt oder die er in seiner Familie aktiv pflegt. Die Vorstellung eines traditionellen Weihnachtsfestes wird jedoch auch von der allgegenwärtigen Werbung und Filmproduktion – sowohl im Inland als auch in Hollywood – beeinflusst. In diesen wird das Bild von Weihnachten mit einer idyllischen Atmosphäre und oft mit Traditionen verbunden, die ihren Ursprung in der angelsächsischen Welt haben. Aber wie sieht Weihnachten in Familien aus, die aus der Tschechischen Republik und der Slowakei nach Österreich gezogen sind? Welche Traditionen und Bräuche werden in den Familien gepflegt und welche sind besonders beliebt?

Die Vorbereitungszeit auf Weihnachten – der Advent – ist mit verschiedenen Traditionen verbunden. Das bekannteste davon ist die Anschaffung eines Adventskranzes. Seine vier Kerzen symbolisieren die vier Adventssonntage. An jedem wird eine Kerze angezündet. Somit nimmt die Lichtintensität allmählich zu, was auf das nahende Weihnachtsfest hinweist. Ein Adventskranz findet sich in den Wohnungen von 90 % der Befragten. Zwei Drittel der Teilnehmer schreiben in der Adventszeit mit ihren Kindern auch einen Brief an den Ježíšek/Ježiško. Er bringt meist am Heiligabend Geschenke. Neben Ježíšek sind es auch Christkind und Eltern. Nur in drei Prozent der Fälle werden überhaupt keine Geschenke gemacht oder sie nur die Kinder von ihren Eltern erhalten. Die Weihnachtskekse, die mit ihrem Duft einen festen Bestandteil der Weihnachtsatmosphäre bilden, werden in den meisten Fällen zu Hause nach traditionellen Familienrezepten gebacken, etwa zwei Fünftel der Befragten probieren neue aus und ein Fünftel kauft bereits fertiggebackene Weihnachtskekse.

Die überwiegende Mehrheit der Befragten kleidet sich festlich für den Weihnachtsabend und isst Suppe – am häufigsten Fisch-, Kohl-, Erbsen-, Linsen- oder Pilzsuppe (in absteigender Reihenfolge der Häufigkeit) und Kartoffelsalat mit Mayonnaise (80 %) als Beilage zu paniertem Karpfen oder anderem Fisch. Ein Drittel der Befragten isst mit dem Kartoffelsalat anstelle von Fisch panierte Schnitzel, einige Befragte bereiten beides zu. Erwähnenswert ist auch der Wiener Kartoffelsalat als Alternative zum Salat mit Mayonnaise. Insbesondere bei den Slowaken werden bobačky, auch Opekance genannt, mit Mohnsamen (ein traditioneller Süßgericht aus dem Germteig) und Piroggen zubereitet. Zum Weihnachtsessen der in Österreich lebenden Slowaken gehören auch Weihnachtswaffeln mit Honig und Knoblauch. Allgemein ist es nicht wünschenswert, während des  Festmahls den Tisch zu verlassen, bevor alle fertig gegessen haben. Dies ist sowohl in tschechischen als auch in slowakischen Haushalten üblich, mit Ausnahme der Hausfrau, die in einigen Familien den Tisch verlassen darf.

Neben dem Essen und den Geschenken unter dem geschmückten Baum ist der 24. Dezember mit vielen verschiedenen Bräuchen und Traditionen verbunden, die den Menschen zum Jahreswechsel zeigen sollten, in welche Richtung das kommende Jahr in Bezug auf Wohlstand, Gesundheit und Beziehungen gehen würde. In manchen Familien wird nach dem Frühstück bis zum Abendessen gefastet, um das goldene Schweinchen, ein Symbol des Überflusses, am Himmel zu sehen. Auch die beiden oben erwähnten Suppen – Erbsen- und Linsensuppe – sollten für reichlich Geld sorgen. In einigen Regionen sind diese Suppen Teil des Neujahrsessens. Eine andere Tradition, die für Geldreichtum sorgen soll, ist eine Karpfenschuppe, die unter der Tischdecke oder dem Teller versteckt wird. Der am häufigsten genannte Brauch in der Umfrage ist das Schneiden eines Apfels. Auf diese Weise haben unsere Vorfahren vorhergesagt, ob sie gesund oder krank sein oder sogar sterben würden. Heute erfreuen wir uns jedoch meist, wenn man nach dem Aufschneiden des Kerns ein Stern findet. Es ist auch sehr beliebt, die Nussschalen mit einer Kerze auf das Wasser zu lassen, um zu sehen, ob die Familienmitglieder zusammen sein werden. Die Mistel ist auch in den Haushalten als Dekoration verwendet, meist an einer Hängeleuchte befestigt. Die Mistel, die idealerweise verschenkt und nicht gekauft werden sollte, soll Glück, Liebe und Fruchtbarkeit ins Haus bringen. Dieser Brauch hat heidnische Wurzeln und war bei den alten Slawen, Germanen und Kelten beliebt.

In den meisten Fällen singen tschechische und slowakische Familien Weihnachtslieder in deren Muttersprache, in einigen Familien werden deutsche Weihnachtslieder gesungen. Einige Familien holen das Bethlehem-Licht, mit dem die Kerzen am Festtagstisch angezündet werden. Bei manchen wird nach dem Essen Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Etwa 43 % der Befragten besuchen die Christmette oder sehen sich die Krippe in der Kirche an. Nur eine Einheit der Befragten gab an, dass Weihnachten untrennbar mit Festgottessdiensten verbunden ist. Umgekehrt gab die Mehrheit – mehr als 85 % – an, dass sie sich zu Weihnachten gemeinsam Märchen ansehen, und zwar mehr als das ganze Jahr über.

Zu den Festtagen gehören auch zahlreiche Besuche von Familie und Freunden. Knapp 30 % verbringen die gesamte Weihnachtszeit, Silvester und Neujahr in Österreich, 54 % besuchen die Familie in der Slowakei und in der Tschechischen Republik, 16 % verbringen die gesamten Feiertage dort und nur ein winziger Teil besucht keine Verwandten, sondern nur die Berge. Den Antworten nach können sich die Landsleute Weihnachten ohne Familie, Weihnachtskekse und traditionelle Speisen, Märchen und Geschenke (in dieser Reihenfolge) nicht vorstellen.

Zum Schluss noch eine kleine Statistik: Der Fragebogen wurde von 99 Teilnehmer beantwortet, deren Muttersprache Tschechisch (75 %), Slowakisch (20 %) und Deutsch (5 %) ist. Zwei Drittel aller Befragten waren Frauen und ein Drittel Männer. Alle Altersgruppen waren vertreten, aber die meisten davon befinden sich im arbeitsfähigen Alter.

Wir danken allen für ihre Bereitschaft und für die Zeit, die sie für das Ausfüllen des Fragebogens benötigt haben!