Blog | 08.08.2022

Wiener Festwochen eröffnet heuer ein Dokumentarfilm über das (un)bekannte tschechische und slowakische Wien

Autorin: Pavla Rašnerová

Die Regisseurin traf ich bei den Dreharbeiten zu den kulinarischen Szenen, in denen Monika Caudr aus Marjánka glänzte. An einem Drehtag konnte sie zum Beispiel Hefebuchteln mit Marmelade, Hefekuchen mit einer Überraschung, einen herzhaften Nusskuchen oder Brimsenpirogge zubereiten. Das Rezept für den Hefeteig hat Monika von ihrer Mutter, die nicht nur eine ausgezeichnete Bäckerin, sondern auch eine hervorragende Köchin war. Sie erinnert sich an die tollen Buchteln, Mohn-, Nuss- oder Zimtgebäck, die sie früher für ihre Kinder gemacht hat. Ihre Großmutter war auch eine großartige Köchin. Monika Caudr sagt:

„Als wir fragten, wie lange wir den Teig für die Buchteln mit der Hand kneten müssten, sagte sie: so lange er nicht vom “hredy kapkac” (im slowakischen Dialekt). Es dauerte, bis wir verstanden haben, was das bedeutet – bis uns die Schweißtropfen auf der Stirn standen.”

Regisseurin Lackenberger in einem Interview mit Monika Caudr

Anzumerken ist noch, dass der Back- und Kochmarathon ohne Martina Canova, die dem Team der Kreativlösung und Filmproduktions GmbH ihre Küche und Räumlichkeiten für dieses Kochevent zur Verfügung gestellt hat, nicht stattgefunden hätte.

Da ich keine besonders gute Bäckerin bin, habe ich Miroslava Buchwald zumindest bei der Zubereitung zwischen den Rezepten geholfen, die auch ein Rezept vor der Kamera gezeigt hat. Anita Lackenberger freut sich darauf, mit ihrer Dokumentation über die Tschechen in Wien mehr Offenheit in die Welt zu bringen. Der tschechische Charakter Wiens ist der österreichischen Gesellschaft mehr als nahe, aber gleichzeitig in gewisser Weise auch schon sehr weit entfernt, und es ist diese imaginäre “Barriere”, die Lackenberger mit ihrer Arbeit fallen lassen will.

Mirka Buchwald und ich haben Monika die ganze Zeit über geholfen

Frau Lackenberger, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Ihrer nächsten Dokumentarfilme dem Thema der Tschechen in Wien zu widmen?

Es gibt so etwas wie einen Mythos und das ist “die böhmische Köchin”. Ich verwende es gerne in dem Sinne, weil es in gewisser Weise auch ein Stück Geschichte um 1900 und das Konzept der böhmischen Region ist, obwohl es schon damals natürlich Tschechen, Mährer und Slowaken gab und in Wien sehr stark vertreten wurden. Aber für mich war ganz wichtig, dass es dieser Mythos gibt von Menschen, die sozusagen eine andere Nationalität in Wien haben und hier auch sehr massiv vorhanden sind. Und bis heute hält sich der Mythos der böhmischen Köchinnen. In Wirklichkeit waren es selbstverständlich tschechische, mährische und slowakische Köchinnen. Deshalb gab es in jedem Wiener Haushalt eine besondere Küche.
Es ist bekannt, dass Wien die zweitgrößte tschechische aber auch slowakische Metropole in der Monarchie war. Hier gab es eine starke politische Strömung, beispielsweise kann man an T. G. Masaryk hinweisen, der im Reichsrat ganz aktiv war. Aber auch eine fantastische Kulturgeschichte ist mit Wien eng verbunden, die auch in eine tschechische, eine slowakische, eine mährische oder böhmische Geschichte ist. Ich war sehr beeindruckt von dem Theaterdirektor aus der Josefstadt, Franz Pokorny, der ursprünglich aus Böhmen stammte und das kulturelle Geschehen in Wien stark sehr geprägt hat. Oder nehmen Sie die Hofoper, an der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Sängern aus der heutigen Tschechischen Republik auftraten. Das Ganze wurde dann durch das Jahr 1918 oder die Zeit kurz davor unterbrochen. Aber wie man sehen kann, gibt es auch Teile der gemeinsamen Kulturgeschichte Wiens, die in den heutigen Nachbarländern Tschechien und Slowakei stark verwurzelt sind.

Welche Bereiche des Lebens im böhmischen Wien waren für Sie wichtig, um sie in dem Film zu zeigen?

Ich denke, der Titel unseres Dokumentarfilms fasst dies sehr gut zusammen: “Buchteln. Ziegeln. Polka – Das böhmische Wien”. Es ist allumfassend, was die Tschechen hier einst prägten und, man könnte sagen, auch heute noch kennen. Der eine Aspekt ist die Küche, der andere ist, sagen wir, der proletarische Aspekt. Erinnern wir uns an die so genannten böhmischen Ziegler, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass Wien zu einer Metropole wurde. Gleichzeitig können wir von einem kulturellen Erbe sprechen, das stark in der Musik verwurzelt ist. Es gibt aber auch ein starkes politisches Erbe, das ebenfalls mit der Architektur verbunden ist. Viele der damaligen Architekten kamen aus der heutigen Tschechischen Republik. Nehmen Sie zum Beispiel die Ringstraße. In Wien gibt es auch tschechisches Bildungswesen, aber auch Vereine, die 1870 gegründet wurden und heute noch sehr aktiv sind. Außerhalb der tschechischen und slowakischen Community gibt es eine leider nicht sehr bekannte Szene, deren Wurzeln 150 Jahre zurückreichen.

Die einzelnen Drehtage haben Ihnen ermöglicht, die tschechische und slowakische Volksgruppe besser kennen zu lernen, wie würden Sie diese Zusammenarbeit beschreiben?

Als Niederösterreicherin habe ich bereits an mehreren Filmen mitgewirkt, die wir in der Tschechischen Republik und der Slowakei gedreht haben. Wir haben einen großen Film über 1918 an der Grenze zwischen Gmünd und České Velenice gedreht. Dies ist also nicht das erste Projekt, mit dem ich versuche, diesen kulturellen Raum wieder zu verbinden. Vor allem freue ich mich, dass dies nun auch in Wien möglich ist. Unter Bürgermeister Karl Lueger, der versuchte, den rein deutschen Charakter der Stadt zu bewahren, ist dieses schreckliche Kapitel der Geschichte noch sehr präsent. Dazu muss man sagen, dass selbst Prag nicht nur tschechischsprachig war, sondern auch ein deutsches Gesicht hatte. Ich denke, dass wir uns an den Gemeinsamkeiten orientieren müssen, gerade im heutigen Europa. Wir haben hier noch ein Stück gemeinsame Geschichte. Natürlich gibt es viele Brüche, die dann alles in einem weniger hellen Licht erscheinen lassen, aber wir müssen das Gemeinsame, das Schönere betrachten.

Welche Orte, die mit der tschechischen Geschichte verbunden sind, haben Sie in Wien mit Ihrer Kamera besucht?

Das Palais Lobkowitz, das heutige Österreichische Theatermuseum, in dem sich auch der Beethovensaal befindet, ist zum Beispiel absolut fantastisch. Es gab einen Salon, in dem nicht nur Beethoven selbst auftrat, sondern in dem sich im 19. Jahrhundert die Musikszene aus ganz Wien traf und ihre Abende verbrachte. Ein weiteres Beispiel ist das Gebäude der tschechischen Botschaft im 14. Bezirk. Der Architekt Josef Hlávka hat einen großen Eindruck auf mich gemacht. Berühmt wurde er durch die Hofoper in Wien, und wenn man weiter die Ringstraße entlang geht, stößt man unweigerlich auf das Gebäude der heutigen OPEC, das ebenfalls von ihm stammt. Mehrsprachige Schulen spielen für mich eine sehr wichtige Rolle, so auch die Komenský-Schule. Ihre Gründung geht auf das 19. Jahrhundert zurück, als bereits viele Dinge vorausgedacht wurden. Der wichtigste Gedanke ist wohl auch heute wieder, dass wir alle in einem Geist aufwachsen sollten, in dem wir ein geeintes und integriertes Europa sehen und nicht nur auf die Nationalität schauen. Wir haben auch in Favoriten und im Böhmischen Prater gedreht, wir waren in Floridsdorf. Es gibt so viele Stellen, an denen man denkt: Wow, wie ist es möglich, dass wir das nicht wussten oder sogar vergessen haben.

Dreharbeiten für die Abendszene in Böhmischen Prater

Abschließend würde ich gerne wissen, wie Sie es geschafft haben, die Vergangenheit mit der Gegenwart im Film zu verbinden?

Bei historischen Dokumentarfilmen ist es immer notwendig, dass der Zuschauer einen gewissen Hauch der Gegenwart spürt. Ich freue mich, wenn nach der Eröffnung der Wiener Festwochen und dem Anschauen meines Dokumentarfilms jemand am Österreichischen Theatermuseum vorbeikommt und denkt, dass das früher ein tschechischer Palast war. Ich würde mich auch freuen, wenn die Menschen wüssten, dass es einen Theaterverein gibt, der 1870 gegründet wurde und heute noch sehr aktiv ist. Oder wenn sie sich daran erinnern, dass die Volksoper häufig auf Tschechisch gespielt und gesungen wurde. Viele Teile dieser Geschichte sind erst in den letzten Jahren aus dem Bewusstsein verschwunden. Das ist eine wirklich rasante Entwicklung. Ich war sehr berührt, als ich den tschechischen Theaterverein besuchte und spürte, wie liebevoll sie es bewahren und mit welcher Großzügigkeit man sich engagiert, zum Beispiel als wir auf den Karussells im Böhmischen Prater drehten. Das alles ist ein Stück Wiener Geschichte. Die Familie Kolařík im Schweizerhaus – jeder kennt dieses Restaurant, aber niemand kennt mehr seine Geschichte. Es kommt zwar nicht im Film vor, aber während des Zweiten Weltkriegs gab es starke Verfolgungen. Es gibt etwas, das meiner Meinung nach für uns alle wichtig ist: zu wissen, woher wir kommen.

Ein gemeinsames Foto des Filmteams mit dem Besitzer des Restaurants Schweizerhaus, Karel Kolařík, und einer Gruppe von Statisten aus der tschechischen Volksgruppe in Österreich

Interview für Marjánka wurde von Pavla Rašnerová (auf dem Bild links) geführt. Dies ist eine Übersetzung des tschechischen Artikels.

Das vollständige Interview können Sie sich in der ORF-Volksgruppensendung anhören oder im Online-Archiv des Fernsehsenders 3SAT ansehen. Neben den Dreharbeiten in der Zentrale des Vereins war Marjánka auch an Szenen im tschechischen Prater, im Restaurant Schweizerhaus und im Theatersaal des Schulvereins Komenský beteiligt.