Blog | 03.05.2025

Gespräch mit der Autorin: Einfach?

Autorin: Martina Canova

Der Tanz-, Musik- und Sprachverein Marjánka präsentiert in Kooperation mit dem Institut für Slawistik der Universität Wien am 26. Mai 2025 eine Lesung aus dem Buch „Einfach?", begleitet vom Zymbal-Ensemble Marjánka. Ein Interview mit der Autorin Maria Safrata-Kozáková können Sie auf diesem Blog nachlesen.

Das Leben eines Menschen ist nicht durchgehend schön. Mal ehrlich: Wie oft waren Sie schon unzufrieden? Wie oft haben Sie sich beschwert, beklagt und  gedacht, dass es allen anderen  besser geht als Ihnen?

Unzufriedenheit ist seit jeher fester Bestandteil der Menschheit und es liegt an jedem von uns, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wenn Sie denken, dass Ihr Leben gerade unrund verläuft, lesen Sie das Buch „Einfach?" Kann sein, dass Sie danach Ihre Meinung ändern.

Wir laden Sie herzlichst zur Veranstaltung des Instituts für Slawistik zum 250-jährigen Jubiläum der Bohemistik- Fakultät an der Universität Wien. Die Lesung findet  am 26. Mai  2025 um 18:00 Uhr im Auditorium Nr. 1, Spitalgasse 2-4 im IX. Wiener Bezirk statt. Der Erlös wird dem St. Anna Kinderspital in Wien gespendet.

„Als der Familienvater nicht aus dem Krieg zurückkehrte und die älteste Tochter Ludmila in die Handelsakademie nach Opava ging, gab schließlich die Mutter den ständigen  Bemühungen eines deutschen Geschäftsmannes nach und heiratete in Windseile. Jeden Sonntagmorgen besuchten die Geschwister gemeinsam den Gottesdienst. Einmal, als sie nach der Kirche in den Laden zurückkamen, fanden sie ihre Mutter am Boden in einer Blutlache liegend vor, direkt hinter der offenen Kassa. Für die örtliche Polizei handelte es sich eindeutig um einen Raubüberfall… tatsächlich um einen kaltblütigen Mord auf Bestellung vom eigenen „liebenden Ehemann“, gegen das sich im Dorf niemand zu stellen wagte. Der Laden, Haus und die vier jüngere von fünf Waisen kamen in die Obhut  des deutschen Stiefvaters und erstaunlich bald reiste seine Geliebte aus Wien ein, und mit ihr kamen Demütigungen, grobe Beleidigungen, Schläge und Entbehrungen.“

Maria, Sie sind keine Schriftstellerin, trotzdem haben sie ein eigenes Buch veröffentlicht. Wo haben Sie die Schreiberfahrungen gesammelt?

Schon als Schulmädchen habe ich gern gelesen, geschrieben und geträumt davon, wie ich aus meinem eigenen Buch vorlesen werde. Später, nach der Matura, habe ich im Rahmen der musikalischen Jugend angefangen, Drehbücher für erzieherische Konzerte für Schulkinder  zu schreiben. Ungeplant bald heiratete ich, bekam ein Kind, bin illegal über die Grenze gegangen und mein Traum wurde auf Eis gelegt… Erst nach meiner Pensionierung begann ich sämtliche Kurse und Seminare zum kreativen Schreiben in Zell am See und Wien zu besuchen.

Was hat Sie dazu veranlasst, dieses Buch zu schreiben?

Beim Schreiben fehlt mir die Fantasie, weshalb ich in den thematischen Aufgaben, die ich während der Kurse bekam, reale Situationen aus meinem Leben beschrieb. Die Reaktionen auf meine Texte waren für mich überraschend und inspirierend. Ich hatte das Gefühl, dass ich die Aufmerksamkeit des Zuhörers auch auf Deutsch gewinnen konnte. Später gab mir meine Schwester alle Briefe zurück, die ich ihr nach meiner Flucht geschrieben hatte (viele davon 10 bis 14 Seiten lang). Ich begann die Texte entsprechend zu ordnen und zu ergänzen. Es hatte eine leicht therapeutische Wirkung.

Was war Ihre Motivation, das Buch sowohl auf Deutsch als auch auf Tschechisch zu veröffentlichen?

Das war nicht geplant. Als ich merkte, dass meine kurzen Texte langsam die Form eines Romans annahm, lief mein Bausparvertrag aus. Ich habe den Wert meines Schreibens angezweifelt und hatte Angst vor Desinteresse oder Ablehnung seitens einiger Verlage.

„Wenn ich das Buch im Bekannten- und Freundeskreis verteile und es wenigstens einem Menschen bei der Entscheidungsfindung hilft, bin ich zufrieden“, dachte ich damals. Ich habe jedoch völlig vergessen, dass meine Familienmitglieder und Freunde (die auch nach so vielen Jahren im Ausland zu mir halten) noch immer in der Tschechischen Republik leben und das Buch nie lesen können. Ich versuchte, die damals in meiner Muttersprache erlebten Situationen und in mühsamer Kleinarbeit ins Deutsche wieder ins Tschechische zu übersetzen.

Es ist mir nicht gelungen. Ich habe festgestellt, dass ich nach so vielen Jahren in Österreich immer noch nicht gut Deutsch spreche, aber mir fallen nicht mehr die nötigen Ausdrücke auf Tschechisch ein. Das tat weh… ich musste das Buch übersetzen lassen.

Das Buch ist eine Autobiografie eines Teils Ihres Lebens, voller Details, die dem Leser den Atem rauben werden. Ist alles, was Sie im Buch beschreiben, wahr oder sind einige Passagen „gefärbt“? Haben Sie nur aus Ihren eigenen Erinnerungen geschöpft oder auch aus anderen Quellen?

Mein erster Mann sagte immer: „Du bist zu ehrlich und aufrichtig für diese Welt. Es ist besser, wenn du nicht alles weißt.“ Nein, ich habe nichts gefärbt, ganz im Gegenteil. Einige der verbalen Ausbrüche meines Partners, als er wütend wurde, wäre unmöglich zu wiederholen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass alles, was wir erleben, in unserem Unterbewusstsein und unserem genetischen Material kodiert ist. Wir müssen nur einen Zugang dafür finden. Bei mir sind die Erlebnisse im Schlaf  wieder lebendig geworden. Auf dem Nachttisch lagen ein Notizbuch und ein Bleistift und ich machte mir im Dunkeln Notizen, sonst hätte ich es am Morgen nicht gewusst.

Sie veranstalten Lesungen sowohl in Österreich als auch in Tschechien. Was bewegt Sie dazu?

Hinter mir steht kein Verlag. Das ist, außer Mundpropaganda, der einzige Weg das Buch unter die Leute zu bringen. Ich will auch nicht verheimlichen den rein egoistischen Grund. In stiller Interesse der Zuschauer aus eigenem Werk vorzulesen und die positive Energie zu spüren… Aber hauptsächlich möchte ich aufmerksam machen, wie wichtig es wäre in der Familie  Gespräche zu führen über die Vergangenheit, auch wenn es nicht immer lustig war. Die Lebenskreise schließen und verbinden sich eigenständig. Vielleicht könnten wir in manchen Fällen die nächste Generation besser zu verstehen.

Sie haben das Buch auf eigene Kosten veröffentlicht und trotzdem wird der Erlös aus dem Verkauf für wohltätige Zwecke gespendet. Wie haben Sie die Finanzierung der Veröffentlichung geschafft, welche Organisationen unterstützen Sie und warum?

Wie schon erwähnt – Bausparvertrag. Ich bin 73 Jahre alt, also „am Ende meines Lebens“ und habe im Grunde alles, was ich brauche. Geld ist wirklich nicht alles. Vielleicht noch ein Rock oder eine Bluse? Die Gesundheit meines zweiten Mannes kann ich auch nicht kaufen (er hat Parkinson), aber ich kann jemandem uneigennützig eine Freude machen. Ich spende deutlich mehr, als ich tatsächlich bekomme. Sei es eine einmalige Spende in Jeseník für die Renovierung nach dem Hochwasser, sei es für alleinerziehende Mütter behinderter Kinder in Prag, damit diese ein paar Stunden ausruhen können, sei es hier in Wien für die Forschung in der St. Anna oder für die Freude der Kinder in Marjánka. Kinder sind die Grundlage der nächsten Generation und das sollte uns allen am Herzen liegen.

Sie leben seit 46 Jahren in Österreich. Bis zum letzten Jahr waren Sie überhaupt nicht am Leben der Minderheiten beteiligt. Mittlerweile sieht man Sie und Ihre Tochter häufig bei verschiedenen Veranstaltungen der Volksgruppe und auch im ORF hatten die Zuschauer die Möglichkeit, ein Interview mit Ihnen zu sehen. Was hat Sie dazu bewogen, sich aktiv im Leben von Minderheiten zu engagieren?

46 Jahre sind eine gewaltige Zeit! Die ersten zehn Jahre habe ich in Niederösterreich gelebt. Nach der Scheidung fang ich in Wien neu an. Ich kannte nur den Weg von der Wohnung zur Firma und zurück. Der zweite Ehemann ist gebürtiger Wiener und interessierte sich so gut wie gar nicht für Tschechische Sprache. Wir lebten 17 Jahre lang zusammen in Zell am See, doch als seine Krankheit fortschritt, wollte er zurück nach Grinzing. Mittlerweile wird er seit über drei Jahren in einem Seniorenheim betreut, wo ich ihn jeden zweiten Tag besuche und in der Zwischenzeit lerne ich Wien kennen. Martina Canova, ebenfalls aus Jeseník stammend, öffnete mir die Tür zum Volksgruppenleben. Das Schicksal wollte, dass wir uns in Wien treffen. Und ich bin begeistert, wie aktiv die Minderheit ist und was sie organisiert.

Haben Sie ein Lebenscredo?

Ganz klar: „Das geht nicht? Das gibt es nicht!"

Was möchten Sie jemandem sagen, der das Gefühl hat, sein Leben sei nicht einfach?

Erwarte keine Hilfe von anderen. Nur du kannst etwas ändern. Aber das Wichtigste – es ist nie zu spät, etwas Neues zu beginnen.

Über die Autorin:

Maria Safrata-Kozáková wurde in Jeseník geboren. Nach ihrem Studium an der Hotelfachschule in Opava arbeitete sie in ihrer Heimatstadt als Hotelfachfrau und unterrichtete an einer Berufsschule. 1979 wanderte sie illegal mit ihrer vierjährigen Tochter und ihrem Mann nach Österreich aus, wo sie nach und nach mehrere Gastronomiebetriebe betrieben. Derzeit lebt sie abwechselnd in Wien und Zell am See.